Wir leben in einer Zeit, in der wir nicht mehr sicher sein können was nun echt ist und was von mehr oder weniger kreativen Menschen am Computer geschaffen wurde. Diese Entwicklung, dass fast nur mehr perfekte oder perfektionierte Bilder und Fotos in Zeitungen, Magazinen, Plakaten und Filmen abgedruckt werden hat dazu geführt, dass wir darauf sehr sensibel geworden sind.
In Zeiten der analogen Fotografie, in der man sich vor dem klickenden Durchdrücken des Auslösers überlegen musste welchen Ausschnitt man exakt wählt und zu welchem Zeitaugenblick man dann das eine Foto des 36-er Films belichtet um ein möglichst gelungenes Andenken zu erhalten. Bei den meisten unter uns war ein perfektes Foto wahrscheinlich dann gegeben, wenn keine Menschen geköpft, das Meer nicht die Schräglage der Niagara-Fälle hatte und aus den Gesichtern der Abgelichteten die Augen nur ein bisschen rot blitzten. Fotos bei etwas dunkleren Lichtverhältnissen im Freien waren für die meisten Fotografen undurchführbar. Gute, wirklich perfekte Fotos waren seltener und daher auch wertvoller und das nicht nur weil sie richtig mit Schilling bezahlt werden mussten.
Das hat sich doch erheblich geändert. Jeder hat in seinem Telefon einen leistungsfähigen Fotoapparat eingebaut, kann die Ergebnisse, man macht ja selten nur mehr ein Foto auf einmal, gleich betrachten, auswählen und eventuell nachkorrigieren. Das gilt nicht nur im privaten Bereich, im gewerblichen Bereich (Presse, Berufsfotografen, Werbung, Film und Fernsehen) werden die technischen Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung noch viel mehr ausgenützt. Ich wage zu behaupten, dass es in öffentlichen Medien keine Fotos gibt die nicht in irgendeiner Form digital aufbereitet / aufgebessert / perfektioniert wurden. Das beginnt bei einfachen Operationen wie Helligkeits- und Kontrastanpassungen bis hin zum Beschneiden des Fotos. Das geht sogar so weit, dass die vermeintliche Ablichtung eines Zeitaugenblicks in der sichtbaren Form gar nie stattgefunden hat. Teile des Fotos wurden entfernt und durch andere ersetzt, Proportionen diverser Gliedmaßen an das gängige Schönheitsideal angepasst, die Schminke makellos nachgezogen, Nasen gestupst, Narben und andere Hautauffälligkeiten entfernt. Und warum? Diese makellosen am Computer zurechtgezogenen Gesichter sollen uns gefallen damit wir uns die Werbebotschaft leichter merken können. Das ist doch wunderbar! Wie gut dass es die digitale Fotobearbeitung gibt. 😉 – Negativ gesehen kann man aber auch behaupten, dass wir dadurch bewusst belogen und betrogen werden, denn jeder assoziiert mit einer fotorealistischen Abbildung zumindest im ersten Augenblick ein Bild der Wirklichkeit zu sehen. Wenn diese Fotomontage gut gemacht ist, wird es selbst für ein geübtes Auge schwierig solche Nachbesserungen zu erkennen. In der Werbung mag das tolerierbar sein, was ist aber mit Zeitungen, Internet-Medien und Propaganda? Haben die Putins, Trumps, Erdogans und Kim Jong Uns dieser Welt wirklich so viele Anhänger oder wurden am Foto ein paar hineingestempelt? Denn ein Anführer den so viele Menschen anhimmeln und unterstützen muss doch beliebt und gut sein. Die Möglichkeiten der Manipulation sind mächtig und einzig begrenzt durch die Glaubwürdigkeit. Ein Foto mit dem Eiffelturm mitten in Wien neben dem Steffl würde wahrscheinlich jeder als Witz / Betrug entlarven. Diese dadurch aufgekommene Ungewissheit in den Medien und der Berichterstattung könnte jetzt ausgenutzt werden. Hat es vielleicht einen taktischen Hintergrund, dass der aktuelle US-Präsident unliebsamen Reportern unablässig „Fake-News“ vorwirft? Oder ist doch die Opposition dahinter ihm irgendwas in die Schuhe schieben zu wollen?
Meine Motivation zur digitalen Bildbearbeitung als Hobby-Fotograf ist zweigeteilt:
Zum einen hat es einen praktischen Zugang. Denn es hilft beispielsweise sehr, wenn man ein Foto bei schlechten Lichtverhältnissen bewusst unterbelichtet um es nicht zu verwackeln und später am Computer wieder aufzuhellen. Das gleiche gilt auch für den Bildausschnitt. Lieber vorher etwas mehr „Fleisch“ rundherum und dann nach Gefallen beschneiden. Vor allem in Situationen in denen man wenig Zeit zum Reagieren hat ist das hilfreich.
Der zweite Zugang ist für mich der, einige wenige ausgewählte Fotos zu etwas Besonderem – für mich perfekt zu machen. Dabei spielt die aktuelle Gemüts-Stimmung, die Ausgeprägtheit des Spieltriebs und ein etwaiger Verwendungszweck eine Rolle. Ob das nun künstlerisch ist oder nicht wage ich nicht zu behaupten, aber es ist wegen dem Spaß an der Freud.
Damit kann man resümieren, dass die in der Überschrift enthaltene Frage so zu beantworten ist, dass das „perfekt“ nachbearbeitete Foto für jeden etwas anderes bedeutet und auch gesellschaftlich ganz Unterschiedliches darstellen kann. Vom Anschauungsobjekt das eine Wand ziert, über einen übernatürlich schönen Menschen-Körper der uns zum Geldausgeben animieren soll, bis hin zum Propagandamaterial ist alles möglich. Es liegt demnach an jedem einzelnen von uns zu hinterfragen was man sieht und vor allem sehen will. Ich für meinen Teil bemühe mich den Werdegang eines Fotos und wenn es mir interessant erscheint auch die angestrebte Intention der „perfekten“ Bearbeitung zu erahnen.